Künstler 2015: Weltklang – Nacht der Poesie

Zang Di

Zang Di (c) privat

Zang Di (Künstlername von Zang Li), geboren 1964, lebt als Dozent für chinesische Literatur in Beijing und gilt als einer der besten zeitgenössischen Lyriker Chinas. Er hat acht Lyrikbände publiziert und mehrere stilbildende Anthologien, Übersetzungen und Lyrikmagazine herausgegeben. Sein Werk verbindet auf kongeniale Weise chinesische und internationale Literatur- und Kulturtraditionen miteinander. Seine komplexen und mehrschichtigen Texte werden häufig als Avantgarde-Lyrik beschrieben. Tatsächlich war er einer der ersten chinesischen Lyriker, die sich sowohl von der sentimentalistischen Tradition als auch von der offenen Sozialkritik der 90er-Jahre-Lyrik in China abwandten und einen postmodernen, experimentellen Weg einschlugen. Mit großem handwerklichem Geschick, assoziativer Leichtigkeit und verblüffenden Wortspielen testet er die Grenzen der Sprache aus. Diese Kombination aus nüchternem Duktus, gedanklicher Komplexität und Witz hat Zang Di zum Vorbild einer ganzen Generation junger Lyriker gemacht. Obwohl er in China mit zahlreichen Preisen für sein Werk ausgezeichnet wurde, ist er international bisher zu wenig bekannt.

LaTasha N. Nevada Diggs

LaTasha N. Nevada Diggs (c) Jose V.

LaTasha N. Nevada Diggs, geboren 1970 in New York, USA, ist eine mythenschöpfende DJane und Dichterin, die in ihren Texten mehr als ein Dutzend Sprachen (darunter Maori, Hindi, Urdu und Swahili) zu einem urbanen, babylonischen Gesang vermischt. In ihrem Band „TwERK“ (der Titel ist ein Verweis auf die hohe Kunst des Arschwackelns im Hip-Hop) geht es um reanimierte Aale, irrlichternde Baby-Moskitos und um die mystische Hüfte Michael Jacksons, der an der Elfenbeinküste zum „King Sani“ gekrönt wird. Außerdem werden in einem Gedicht über Suri Cruise überraschende Verbindungen hergestellt zwischen Björk, Alpakas und Scientology.
Vor dem Erscheinen des aufsehenerregenden „TwERK“ machte LaTasha N. Nevada Diggs bereits mit zahlreichen Chapbooks von sich reden: darunter „Ichi-Ban“, „Ni-Ban“ und „Manuel is destroying my bathroom“. Außerdem veröffentlichte sie das Album „Televisión“.

Veröffentlichungen (Auswahl): Ichi-Ban, MOH Press, 1998; Ni-Ban, MOH Press, 2001; Manuel is destroying my bathroom, Belladonna, 2004; TwERK, Belladonna, 2013; Musik: Televisión (Album) 2003

Jochen Distelmeyer

Jochen Distelmeyer (c) Frank Zauritz

Jochen Distelmeyer, geboren 1967 in Bielefeld, hat als Sänger und Songschreiber der Band Blumfeld die Sprache der deutschen Popmusik revolutioniert. Diskurssatt und gebildet, zugleich unbürgerlich und sperrig, schaffte er es, unterschiedlichste Wortmaterialien – politische Punchlines, verfremdete Zitate und scheinbar Tagebuchartiges – zu einer hoch energetischen Dichtungssprache zu verschmelzen.
Distelmeyers Texte lösten eine langjährige, auch akademische Exegese aus und wurden selbst von Lyrikern wie Durs Grünbein rezipiert. „Inzwischen sind Zitate aus seinen Songs zu Gliedern der Pop-DNA geworden “, schreibt die taz.
Nach der Auflösung von Blumfeld 2007 begann Distelmeyer eine Solokarriere. Im September 2009 erschien sein Album „Heavy“. 2014 fand anlässlich des 20. Jubiläums des bahnbrechenden Albums "L’état et moi" eine Tournee der Ursprungsformation von Blumfeld statt. Dort zeigte sich einmal mehr, wie gegenwärtig und kraftvoll Distelmeyers Songs nach wie vor sind.
Im Februar 2015 veröffentlichte Distelmeyer seinen ersten Roman, „Otis“. Bei Weltklang liegt der Fokus jedoch nicht auf dem Romancier, sondern auf Distelmeyers Musik und Lyrics seit Ende der 90er-Jahre, die er in einem kurzen, seltenen Solo-Konzert präsentiert.

Veröffentlichungen (Auswahl): Alben: Blumfeld: Ich-Maschine (1992); Blumfeld: L’état et moi (1994); Blumfeld: Old Nobody (1999); Blumfeld: Testament der Angst (2001); Blumfeld: Jenseits von Jedem (2003); Blumfeld: Verbotene Früchte (2006); Jochen Distelmeyer: Heavy (2009)
Roman: Otis (2015, Rowohlt Verlag)

Elena Fanailova

Elena Fanailova (c) Alexander Tjagny-Rjadno

Elena Fanailova, geboren 1962 in Woronesch, Russland, ist vieles zugleich: ausgebildete Ärztin, Philologin und Radioreporterin. Vor allem aber ist sie Russlands gegenwärtig bedeutendste Dichterin und eine der schärfsten Kritikerinnen Wladimir Putins. Fanailova ist eine im emphatischen Sinne politische Künstlerin, Vertreterin einer neuen Form von Littérature engagée. Für sie besteht die vornehmste Aufgabe der Dichterin darin, das, was die anderen nicht sagen können oder wollen, in Worte zu fassen. Ausdrücklich bewegt sie sich dabei in der Nachfolge des von ihr bewunderten Lyrikers Ossip Mandelstam.
Fanailovas Werk, ein einmaliger Beitrag zum "Wirken der Muttersprache / Im Land der Naturreserven", ist geprägt von einer tiefgreifenden Auseinandersetzung mit der wechselvollen Geschichte ihrer Heimat. Ihre sprachlich und gedanklich komplexen Gedichte erzählen von vergangenen und gegenwärtigen Krisen und Kriegen: vom Zweiten Weltkrieg, von Afghanistan, Tschetschenien und dem Ukraine-Konflikt. Gleichzeitig ist Fanailova eine Meisterin sehr persönlicher Erinnerungs-Gedichte von wunderbarer Zartheit.
Fanailova studierte Medizin und Linguistik in Woronesch. Sechs Jahre war sie dort als Ärztin tätig. Ende der 90er- Jahre übersiedelte sie nach Moskau und wurde Korrespondentin bei „Svoboda Radio“ (Radio Freiheit). Im Jahre 1999 erhielt sie den Andrei Bely-Preis, den ältesten unabhängigen Literaturpreis Russlands.

Veröffentlichungen (Auswahl): The Russian Version, Ugly Duckling, 2009

L-Ness

L-ness (c) Ralf Rafee

L-ness, geboren 1979 in Nakuru, Kenia, bürgerlich Lydia Owano Akwabi, auch bekannt als ‚Lioness‘ oder ‚Madadadigital‘, ist eine der charismatischsten Femcees des afrikanischen Hip-Hop. L-ness rappt nicht auf Swahili oder Englisch, den beiden Amtssprachen Kenias, sondern auf Sheng, einem vitalen Sprachamalgam, das in den Slums von Nairobi entstand und sich allmählich zur Verkehrssprache des dortigen Undergrounds entwickelte.
Die Kunst von L-ness, die ganz im Zeichen des „Gal Power“ steht, besticht durch die Direktheit und Wucht ihres Vortrags. Für sie ist Hip-Hop eine „internationale Kultur des Bewusstseins“, der die einmalige Kraft innewohnt, Menschen unterschiedlichster Herkunft und Bildung zusammenzuführen.
L-ness arbeitet als Radiomoderatorin bei VotuRadio Africa und organisiert gemeinsam mit Elimu Sanifu, einer nichtstaatlichen Organisation, Hip-Hop-Workshops für benachteiligte Schülerinnen und Schüler.

Veröffentlichungen (Auswahl):
Musik: Simangwe (Album) 2011; Gal Power (Album) 2012; Punch (Album) 2013

Reiner Kunze

Reiner Kunze (c) Jürgen Bauer

Reiner Kunze, geboren 1933 in Oelsnitz/Erzgebirge, ist ein Meister in der Kunst des Weglassens, des »Eindickens« der Sprache durch Reduktion. Kein anderer deutscher Lyriker kann auf knapp bemessenem Raum so präzise und anschaulich schreiben wie er.
Kunze ist 1977 aus der DDR in die Bundesrepublik übergesiedelt. »… nie mehr der lüge / den ring küssen müssen«, heißt es dazu in einem seiner Gedichte. Schon früh war er in Opposition zum dortigen politischen System geraten. 1959 musste er seine Lehrtätigkeit an der Universität Leipzig aufgeben. Stattdessen arbeitete er als Hilfsschlosser im Schwermaschinenbau. Sein erster Gedichtband mit ausschließlich eigenen Texten, »Vögel über dem Tau«, erschien im selben Jahr.
Kunzes Übersiedlung ging der Ausschluss aus dem Schriftstellerverband voraus. »ausgesperrt aus büchern / ausgesperrt aus zeitungen / ausgesperrt aus sälen«, so fasst er selbst seine damalige Situation zusammen. Die von der Stasi angelegte Akte über ihn trug später den Decknamen »Lyrik«.
Reiner Kunze veröffentlichte seither über 30 Bände mit Gedichten, auch für Kinder, mit Prosa, Essays und Übertragungen. Er erhielt zahlreiche Preise, u. a. den Georg-Büchner-Preis 1977. Seine Dichtung ist längst Schullektüre. Kunze kann mit Fug und Recht als Klassiker der deutschen Gegenwartslyrik gelten.
 
 
Veröffentlichungen (Auswahl): Sensible Wege. Gedichte. 1969, Zimmerlautstärke. Gedichte. 1972, Die wunderbaren Jahre. Prosa. 1976, auf eigene hoffnung. Gedichte. 1981, eines jeden einziges leben. Gedichte. 1986, Das weiße Gedicht. Essays. 1989, Deckname „Lyrik“. Eine Dokumentation. 1990, Wohin der Schlaf sich schlafen legt. Gedichte für Kinder. 1991, ein tag auf dieser erde. Gedichte. 1998, lindennacht. Gedichte. 2007

Márió Z. Nemes

Mario Nemes (c) Gabi Csutak

Márió Z. Nemes (geb. 1982 in Ajka, Ungarn) ist Dichter, Schriftsteller und Kritiker und gilt als wichtiger Vertreter der jungen Dichtergeneration Ungarns.

Erste Veröffentlichungen fallen in die Zeit der Jahrtausendwende. Seitdem hat Nemes seinen Texte und Kritiken in allen führenden ungarischen Literaturmagazinen und -zeitschriften publiziert. Er ist Mitglied der Vereinigung junger Schriftsteller Attila József sowie des Ungarischen PEN. Zusammen mit zehn weiteren jungen DichterInnen gründete und betreute Nemes 2005 den Web Blog „Telep“ [Siedlungen], der bald zum Anlauf- und Referenzpunkt der aufblühenden Bewegung zeitgenössischer Poesie in Ungarn avancierte. Diese Onlineaktivität endete 2009 mit Erscheinen einer gemeinsamen Anthologie in Buchform. Im Netz ist Nemes derzeit als Redakteur des kulturtheoretischen Fanzines „Technologie und das Unheimliche“ aktiv.

Anfang 2009 erhielt Nemes das Móricz Zsigmond-Literaturstipendium für Poesie. Im 2013 promovierte er an der Philosophischen Fakultät der Eötvös Loránd Universität. Das Forschungsthema seiner Doktorarbeit war die Beziehung zwischen philosophischer Anthropologie und Ästhetik. 

Márió Z. Nemes lebt in Budapest. Im Jahr 2014 erhielt er das Stipendium der Akademie Schloss Solitude.

 

Veröffentlichungen (Auswahl):

Alkalmi magyarázatok a húsról, József Attila Kör-L'Harmattan 2006

Bauxit, Prae 2010

A hercegprímás elsírja magát, Libri 2014

Puschkins Brüste, Edition Solitude 2016

Christian Prigent

Christian Prigent (c) Vanda Benes

Der Lyriker und Literaturkritiker Christian Prigent, geboren 1945 in Saint-Brieuc, Frankreich, fordert seine Leser heraus, sich auf Neues einzulassen, sich vom gewohnten Aussehen und Klang der Worte zu verabschieden. Er ist auf der Suche nach einer „lebendigen Sprache, die ihre Besonderheit artikuliert, gegen alle Kollektivierung der Erfahrungen, des Unbewussten, der Stile“.
Obsessiv entwirft Prigent eine Autorschaft als „ôteur“ – eines Autors, der sich selbst ebenso wie die Stereotype der ihn umgebenden sprachlichen Gegenwart durchlöchert. Er verkettet Diskurse und eröffnet poetische Echoräume, in dem auch große Stimmen der Dichtungstradition rekonstruiert und dekonstruiert werden. In kühnen Lautverknotungen, Wortverschmelzungen und Metaphern setzt Prigent immer wieder einen wilden Sinnenschwarm frei.
Seit den 60er-Jahren steht der Doktor der Philosophie mit seinen sehr unterschiedlichen Gedichten auf der Bühne, nach wie vor – witzig, experimentell und provokant – ein Teil der dynamischen französischen Avantgarde. Darüber hinaus ist Prigent Gründer der Zeitschrift TXT und Träger des Prix Louis Guilloux 2007. Er lebte in Rom und Berlin und seit 2007 wieder in der Brétagne, aus der er stammt.
2014 erst erschien ein Band mit Gedichten von ihm auf Deutsch, bei roughbooks, kongenial übertragen von Christian Filips und Aurélie Maurin.
 
Veröffentlichungen (Auswahl):La belle journée (Gedichte) 1969; La Langue et ses monstres (Essay), POL, 1989; Peep-Show (Roman in Versen), Le Bleu du Ciel, 2006; Demain je meurs (Roman), POL, 2007; Météo des plages (Roman in Versen), POL, 2010; Compile (CD mit Buch), POL, 2011; La Vie moderne (Gedichte), POL, Paris, 2012; Les Enfances Chino (Roman), POL, 2013; Die Seele (Gedichte) übersetzt und herausgegeben von Christian Filips und Aurélie Maurin, roughbooks, Berlin und Solothurn 2014

Lisa Robertson

Lisa Robertson (c) Joan Guenther

Lisa Robertsons, geboren 1961 in Toronto, Kanada, Gedichte sind das perfekte Ineins von Abstraktion und Sinnlichkeit, in ihnen ist die Grenze aufgehoben zwischen der Luzidität eines Gedankens und der Erotik seines sprachlich-poetischen Ausdrucks. Robertson versteht ihr Werk immer auch als Kritik am neo-liberalen Kapitalismus von einem dezidiert feministischen Standpunkt aus. Für sie ist das Denken selbst eine Form des politischen Handelns, das sich innerhalb der Grenzen unserer Sprache vollzieht.
Robertson beschäftigt sich mit dem Spannungsfeld zwischen Gefühl, Form und Körper und verbindet dabei so unterschiedliche Themenbereiche wie Architektur, Genderfragen und Wettervorhersagen. Gleichermaßen kenntnisreich schreibt sie außerdem über Pornografie, den barocken Satzbau und die Geschichte der Ornamentik. Ihre Einflüsse reichen von Lukrez über die vergilschen Eklogen bis hin zu den Young Marble Giants, The Slits und Patti Smith. So vielfältig sind Robertsons Interessen, so erstaunlich ist der Reichtum ihrer Sprache, dass die Bildung von Synapsen in den Hirnen ihrer Leser bei der Lektüre sprunghaft ansteigt.
Lisa Robertson lebt heute in Paris. Neben Gedichten schreibt sie bedeutende Essays und
übersetzt aus dem Französischen.

Veröffentlichungen (Auswahl): The Apothecary, Tsunami, 1991; Debbie: An Epic, New Star, 1997; Soft Architecture: A Manifesto, Artspeak Gallery, 1999; The Weather, New Star, 2001; Occasional Work and Seven Walks from the Office for Soft Architecture, Clear Cut Press, 2003; Rousseau’s Boat, Nomados, 2004; The Men: A Lyric Book, BookThug, 2006; Lisa Robertson's Magenta Soul Whip, Coach House Press, 2009; R's Boat, University of California Press, 2010; Nilling: Prose, BookThug, 2012; Cinema Of the Present, Coach House Press, 2014