Künstler 2015: Schwerpunkt China

Zang Di

Zang Di (c) privat

Zang Di (Künstlername von Zang Li), geboren 1964, lebt als Dozent für chinesische Literatur in Beijing und gilt als einer der besten zeitgenössischen Lyriker Chinas. Er hat acht Lyrikbände publiziert und mehrere stilbildende Anthologien, Übersetzungen und Lyrikmagazine herausgegeben. Sein Werk verbindet auf kongeniale Weise chinesische und internationale Literatur- und Kulturtraditionen miteinander. Seine komplexen und mehrschichtigen Texte werden häufig als Avantgarde-Lyrik beschrieben. Tatsächlich war er einer der ersten chinesischen Lyriker, die sich sowohl von der sentimentalistischen Tradition als auch von der offenen Sozialkritik der 90er-Jahre-Lyrik in China abwandten und einen postmodernen, experimentellen Weg einschlugen. Mit großem handwerklichem Geschick, assoziativer Leichtigkeit und verblüffenden Wortspielen testet er die Grenzen der Sprache aus. Diese Kombination aus nüchternem Duktus, gedanklicher Komplexität und Witz hat Zang Di zum Vorbild einer ganzen Generation junger Lyriker gemacht. Obwohl er in China mit zahlreichen Preisen für sein Werk ausgezeichnet wurde, ist er international bisher zu wenig bekannt.

Yang Lian

Yang Lian (c) privat

Yang Lian, geboren 1955, gehörte zur Gruppe der sogenannten „Misty Poets“, die aktiv an den Tian’anmen-Protesten von 1989 beteiligt waren. Für diese Beteiligung wurde ihm die chinesische Staatsbürgerschaft entzogen. Er lebt seitdem im Exil, seit 2012 als Fellow am Wissenschaftskolleg Berlin und in London. Yang Lians Lyrik knüpft an die Philosophie Laozis, das „Yi Jing“ (Buch der Wandlungen) und an die Tradition politisch engagierter Dichtung an, wie sie in China seit dem 8. Jahrhundert praktiziert wird. Dieses Bewusstsein für die chinesische Literaturgeschichte trifft in seinen Texten auf ein modernistisches Bildmaterial und schafft damit eine klare Verortung im Zwischenraum – ein bewusstes Bekenntnis zum Exil. Aktualität, auch politische, und Traditionen, östliche wie westliche, sind ineinander gewoben. Yang Lian ist künstlerischer Leiter des Londoner Projekts „Unique Mother Tongue“. Er erhielt u. a. den International Capri Prize 2014 sowie den Tianduo-Preis für Langgedichte 2013. Seine Werke wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt.

Veröffentlichungen (Auswahl): Geisterreden (Gui Hua), Ammann Verlag, 1995; Der Ruhepunkt des Meeres (Da hai ting zhi zhi chu), Edition Solitude, 1996; Aufzeichnungen eines glückseligen Dämons (Xing fu gui hun shou ji), Suhrkamp, 2009; Konzentrische Kreise (Tong Xin Yuan), Hanser, 2013

Ming Di

Ming Di (c) privat

Ming Di (Künstlername von Mindy Zhang) pendelt als Herausgeberin der Anthologie „New Cathay – Contemporary Chinese Poetry“ und des Magazins „Poetry East West“ zwischen Beijing und Los Angeles. Entwurzelung, marginalisierte Identität und die Aufspaltung der eigenen Sprache sind die bestimmenden Themen ihrer Gedichte, die sich durch einen bewussten Umgang mit Form und Tradition auszeichnen – sowohl der chinesischen als auch der US-amerikanischen. Ihre lyrische Sprache wird durchzogen von Verweisen auf andere Autoren und Texte und kontrastiert klassische chinesische Bilder mit Themen aus der anglo-amerikanischen Literatur. Mythen, Legenden und ihre Neuerfindung spielen eine zentrale Rolle. Ihr Werk ist zudem geprägt von Auseinandersetzungen mit der konkreten Poesie, deren Ansätze sie ins Chinese überträgt. Die Bildhaftigkeit von Sprache und die Sprachlichkeit von Bildern werden dabei nicht zuletzt durch ihr Spiel mit den chinesischen Schriftzeichen evoziert. Ming Di war Gast bei internationalen Literaturfestivals in Europa, Lateinamerika und Asien und hat zahlreiche Gedichtbände ins Englische bzw. Chinesische übersetzt.

Veröffentlichungen (Auswahl): Days Flown on Footage (Wenhua Publishing, 2008), D Minor Etudes (DJS Books, 2009),Berlin Story (DJS Books, 2009), Chords Breaking (Hainan Press, 2010), Art of Splitting (New World, 2010), Selected Poems of Ming Di (Changjiang Wenyi, 2010), River Merchant’s Wife (Marick Press, 2012), Luna Fracturada (Valparaiso Ediciones, 2014), Book of Seven Lives (Recours Au Poème Éditeurs, 2015)

Wang Pu

Wang Pu (c) privat

Wang Pu, geboren 1980, begann bereits im Alter von neun Jahren, Lyrik zu schreiben. Während seines Literaturstudiums an der Universität Beijing gab er studentische Lyrik-Zeitschriften heraus und war an der Organisation mehrerer Poesiefestivals beteiligt. Nach einer Dissertation in Vergleichender Literaturwissenschaft an der New York University 2012 lebt er heute als Dozent an der Brandeis University, USA. Als einer der wenigen Lyriker seiner Generation beschäftigt er sich in seinen Prosagedichten mit der Arbeit der frühen chinesischen Modernisten, die einen radikalen Bruch mit den traditionellen chinesischen Versformen vollzogen. Die Auseinandersetzung mit diesem Gründungsmoment der modernen chinesischen Lyrik wird von ihm weitergeführt und aktualisiert. Seine Gedichte und Essays wurden in China vielfach publiziert und u. a. mit dem Weiming-Preis, dem Liu-Li’an-Preis und dem Poetry-East-West-Preis ausgezeichnet.

Liao Yiwu

Liao Yiwu (c) Ali Ghandtschi

Liao Yiwu, geboren 1958, wurde in den 1980er-Jahren als Lyriker in China bekannt und entschied sich dann bewusst für eine Existenz als Untergrund-Dichter und Dissident. Von 1990 bis 1994 wurde er für die Publikation seines Langgedichts „Massaker“ inhaftiert, in dem er die Ereignisse auf dem Tian'anmen-Platz 1989 kritisiert. Trotz schwerer Misshandlungen im Gefängnis schrieb er weiter. Nach seiner Entlassung erhielt Liao Yiwu ein Publikationsverbot und floh schließlich 2010 aus China ins Exil. Er lebt heute als Autor und Musiker in Berlin und tritt europaweit auf. Seine Lyrik ist von einem pessimistischen Surrealismus geprägt und beschreibt mit schmerzhafter Intensität die Verbrechen des chinesischen Gefängnissystems. Seine sozialkritische Interviewserie „Fräulein Hallo und der Bauernkaiser“ und sein Bericht aus dem Gefängnis „Für ein Lied und hundert Lieder“ sind internationale Beststeller. Für sein engagiertes Werk wurde er u. a. mit dem Geschwister-Scholl-Preis und dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.

Veröffentlichungen (Auswahl): Fräulein Hallo und der Bauernkaiser: Chinas Gesellschaft von unten, S. Fischer Verlag, 2009; Für ein Lied und hundert Lieder: Ein Zeugenbericht aus chinesischen Gefängnissen, S. Fischer Verlag, 2011; Massaker: Frühe Gedichte, hochroth Verlag, 2012; Erinnerung, bleib, Lieblingsbuch/Fly Fast Publishing, Berlin 2012 Gott ist rot: Geschichten aus dem Untergrund, S. Fischer Verlag, 2014

Lü Yue

Lü Yue (c) privat

Lü Yue (Künstlername von Lü Yalan) geboren 1972, lebt als Chefredakteurin der „Beijing News“ in Beijing, wo sie 2014 eine Promotion in Literaturwissenschaft abschloss. In ihren Gedichten verbindet sie journalistisches Material mit lyrischen Elementen. Sie zeichnet sich durch eine klare und mutige Sprache aus, in der die Absurdität der thematisierten „current events“ sichtbar wird – eine subtile Form der Kritik, auch an überkommenen gesellschaftlichen Machtstrukturen. In ihren Texten schwingt eine feministische Perspektive mit, die durch einen ironischen, manchmal sarkastischen Ton gebrochen wird. Comedy-Effekte treffen auf sprachliche Komplexität und ein profundes Geschichtsbewusstsein. Der Literaturkritiker Zhu Dake beschreibt Lü Yues Spiel mit den Mehrfachbedeutungen chinesischer Idiome als verwirrend und anziehend zugleich, wie eine optische Täuschung, die durch „die unregelmäßigen Streifen im Fell eines Tigers“ entsteht. Lü Yue wurde u. a. mit dem Luo-Yihe-Lyrikpreis ausgezeichnet.

Veröffentlichungen (Auswahl): Pohuai yishi de nüren [Eine Frau stört den Empfang], Huidao huxi [Wie man den Atem zurückgewinnt], Dai mianmo de nü youling [Geisterfrau mit Schönheitsmaske, Essays]

Jiang Tao

Jiang Tao (c) privat

Jiang Tao, geboren 1970, studierte zunächst Ingenieurswissenschaft, bevor er sich für die Literatur entschied. Er lebt heute als Herausgeber der Zeitschrift „New Poetry Criticism“ und Dozent für chinesische Literatur in Beijing und ist eine der wichtigsten Stimmen, die sich für eine Erneuerung der chinesischen Lyrik aussprechen. Seine Texte zeichnen sich durch eine unaufgeregte Sprache, Witz und Ironie aus. Jiang Tao nutzt die Perspektiven seines breit aufgestellten lyrischen Personals, um unterschiedliche Aspekte der chinesischen Gegenwartsgesellschaft zu kritisieren: In seinen Gedichten treten verarmte Rentner, junge Wanderarbeiter oder Computernerds auf. Dabei beklagt Jiang Tao aber keinesfalls nur gesellschaftliche Ungerechtigkeiten. Stattdessen nutzt er ironische Brechungen, um die Absurdität des vermeintlich Normalen sichtbar zu machen. Seine Gedichte provozieren ein Lachen, das im Hals stecken bleibt. Jiang Tao wurde zu zahlreichen internationalen Literaturfestivals eingeladen und u. a. mit dem renommierten Liu-Li'an-Preis für Lyrik ausgezeichnet.

Veröffentlichungen (Auswahl): Good News, Taipei: Showwe Informatics, 2013; The Book of Birds, Shanghai: Sanlian Bookstore, 2005; New Poetry Collections and the Formation of Chinese New Poetry, Beijing: Peking University Press, 2005; Tower in the Apartment: Literature and Youth in China in the 1920s, Beijing: Peking University Press, 2015 Bakunin’s Hand, Beijing: Peking University Press, 2010; Anthology of a Century of Chinese New Poetry, Volume 16, Wuhan: Yangtze River Literature Press, 2013; Anthology of 20th-century Modern Chinese Poetry, Volume 1, Beijing: People’s Literature Press, 2010

Han Bo

Han Bo (c) privat

Han Bo, geboren 1973, arbeitet als Herausgeber eines Magazins in Shanghai und gilt als einer der besten Nachwuchslyriker in China. Er hat mehrere Gedichtbände veröffentlicht sowie eine Anthologie chinesischer Gegenwartslyrik herausgegeben. Seine Lyrik zeichnet sich durch eine nüchterne und innovative Sprache aus, die sich der starken sentimentalistischen Tradition in China entgegenstellt und zugleich Brücken zwischen der chinesischen Klassik und der Gegenwart baut. Seine langen Stream-of-Consciousness-Gedichte entfalten beim Lesen die Sogwirkung einer Kamerafahrt und spiegeln seine Prägung nicht nur als Lyriker, sondern auch als Theaterautor wider. 2009 war er Teilnehmer des International Writers Workshop in Iowa, seine Stücke wurden in China und den USA aufgeführt und seine Gedichte u. a. mit dem Liu-Li'an-Preis für Lyrik ausgezeichnet.

Veröffentlichungen (Auswahl): Yi huafen er shi de ren [Menschen, die Pollen zum Essen sammeln] (2001); Weichengnianren jinzhi runei [Minderjährigen ist der Zutritt untersagt] (2000); Shi nian de biansuqi [Das Getriebe des Jahrzehnts] (1999); Xian gei tufu nü'er de wancan he yi ben hei pi shu [Die Tochter des Metzgers kriegt Abendessen und ein schwarzes Lederbuch] (1994); Yizi bu zhidao [Die Stühle sind ahnungslos, Theaterstück]; Qunzhong [Die Massen, Theaterstück]; Shei mei kuashang qiaoqiaoban [Wer ist noch nie auf eine Säge gestiegen, Theaterstück]