Grußwort des Leiters des poesiefestival berlin
Mit dem poesiefestival berlin hat die Dichtkunst aus unserem Land und aus aller Welt eine Plattform zur Verfügung, die im internationalen Vergleich auch deshalb wertgeschätzt wird, weil neue Wege beschritten werden, um Dichtung zeitgemäß zu präsentieren. Nicht zuletzt aus diesem Grund hat die Deutsche UNESCO-Kommission dem Festival ihre Schirmherrschaft verliehen und es bekommt dieses Jahr den Preis „Ort im Land der Ideen“ verliehen. Ich begrüße sehr herzlich die 170 Dichter, Künstler, Wissenschaftler und Veranstalter, die aus 37 Ländern zu uns gereist sind und bedanke mich dafür, dass wir neun Tage Einblick bekommen in ihre Kunst, mit Wort, Sprache, Rhythmus und Klang umzugehen.
Zum nunmehr 11. Mal präsentiert das poesiefestival berlin Poesie vom Feinsten aus der ganzen Welt, als Gedicht im klassischen Sinn und in Verschränkungen mit anderen Künsten und Medien.
Zum ersten Mal werden sich in Deutschland die poetischen Landschaften rings ums Mittelmeer vorstellen. Von alters her war der mediterrane Raum ein Hort der Kreation, des Austauschs, der Begegnung und gegenseitigen Einflussnahme: Diese Verschiedenheiten bedeuten Reichtum unseres Menschseins. Das Mittelmeer war und ist aber auch der Ort blutiger Konflikte, der Abgrenzungen. Es kennt den Flüchtenden von alters her bis heute; als Flüchtling, Migranten oder Gastarbeiter. Gleich zu Beginn des Festivals untersuchen wir die Poesie- und Literaturgeschichten der Region nach der Figur des Flüchtlings und setzen sie in Relation zu heutiger Politik und Praxis im Umgang mit Flüchtenden sowie zu europäischen Werten. Wir erfahren andere Geschichten von Literatur: Wie in einer Passage werden die Dichtkunst des Maghreb, des Nahen Osten, der Inseln, Israels, Hellas’, Andalusiens, Istanbuls und Marseilles besucht. Der diesjährige VERSschmuggel wird zwischen italienischen und deutschen Dichtern verhandelt. Sechs Kulturinstitute und Botschaften rings ums Mittelmeer haben, und das ist neu, eigene Ausstellungen zu Themen wie Meer, Sprache, Dichtkunst für ihre Räume bzw. die Akademie kuratiert und dem poesiefestival berlin zur Verfügung gestellt.
Dichtung versteht sich mittlerweile selbstbewusst als eigenständige Kunst. Von dieser Position heraus geht sie Allianzen mit anderen Künsten und Medien ein und erweitert ihren Geltungsraum. Und sie braucht, verwendet und sucht nach neuen und anderen Formaten für sich als Kunst. Ein ganzes Colloquium befragt Dichter, Philosophen, Medienwissenschaftler und andere Multiplikatoren danach und schaut, wie Dichtung sich dabei verändert.
Natürlich wird es einen Vorgeschmack auf das kommende Filmfestival der Dichtung geben, den ZEBRA, der im Oktober stattfindet, aber natürlich zum poesiefestival berlin gehört. Zum dritten Mal erleben wir mit e.poesie den Zusammenklang von Dichtkunst, Musik und Videokunst, von „sound und language“ also. Dieses große Konzert voller Uraufführungen wird gemeinsam mit dem Berliner Künstlerprogramm des DAAD veranstaltet. Auch Ohrenstrand, das Netzwerk für Neue Musik, ist mit von der Partie. Gleiches gilt für zwei weitere Eigenproduktionen, die zur Uraufführung gelangen. Für die Performance von Inger Christensens berühmtem „Alphabet“ in der multimedialen Inszenierung von Christiane Hommelsheim und von Schumann lieben. Ein Dichter und Liederzyklus“, wenn Sabine Scho und Ulf Stolterfoht anlässlich von Robert Schumanns 200. Geburtstag Chamissos zu Grunde liegenden Originaltext „Frauenliebe und Leben“ neu geschrieben haben und gemeinsam mit Jan Müller-Wielands Neuvertonung zur Uraufführung bringen. Das wird dann eine Koproduktion mit dem Schumannfest Düsseldorf sein.
Die Inszenierung des diesjährigen Langpoems gilt mit „Dunckler Enthusiasmo“ in der hervorragenden Übersetzung von Christian Filips keinem Geringeren als Pier Paolo Pasolini. Leopold von Verschuer hat die Inszenierung dankenswerter Weise übernommen und auch die Singakademie zu Berlin wird dabei zu erleben sein, genauso wie Eva Brunner, Linda Olansky, Bo Wiget u. a.
Nie war das Programm für Kinder und das Weiterbildungsprogramm für Lehrer umfangreicher, und nie war soviel verschiedenes und buntes Berlin beteiligt wie bei „Poets Corner“ in den Stadtbezirken oder in den Europaschulen.
Die täglichen Poesiegespräche gewähren ganz persönliche Einblicke in die Dichterwerkstätten rings ums Mittelmeer, aber auch darüber hinaus. Wer wüsste nicht gern, wie und warum beispielsweise Michael Ondaatje, Cole Swensen oder Titos Patrikios zu dichten begann?
Mittlerweile weltberühmt geworden ist Weltklang – Nacht der Poesie, die Eröffnungsveranstaltung des poesiefestival berlin, bei der alle Autorinnen und Autoren ausschließlich in ihrer Muttersprache lesen. Die auch für berühmte Autoren häufig ersten Übersetzungen ins Deutsche sind zum Mit- und Nachlesen publiziert und erscheinen in einem nur für diesen Abend erstellten und nur an diesem zu kaufenden Büchlein, das zudem Bestandteil der Eintrittskarte ist.
lyrikline.org, die Webseite für Poesie, wird für das Festival mit einem Feature zum Fokusthema begleiten.
Poesie ist kräftig, spannend und lebt in verschiedensten Formen und Formaten und in allen Sprachen dieser Welt. Erleben wir diesen kräftigen Puls der Dichtkunst.
Ich wünsche uns allen ein spannendes, sehr sinnliches, erlebnis- und erkenntnisreiches poesiefestival berlin 2010.
An dieser Stelle bedanke ich mich bei all denen, die dafür Sorge trugen, dass das Festival zum mittlerweile elften Mal stattfinden kann, beim Hauptstadtkulturfonds und bei allen Unterstützern, Förderern und Sponsoren.
Ein ganz besonderer Dank gehe an die Akademie der Künste und all ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dem poesiefestival berlin wiederholt den sehr guten Rahmen und diesen schönen Ort zur Verfügung gestellt hat.
Dr. Thomas Wohlfahrt
Leiter der Literaturwerkstatt Berlin
und Direktor des poesiefestival berlin