Cia Rinne (c) Joakim Eskildsen
Was kann der Lyrik in Zukunft als Sprachmaterial dienen? lautete die erste Frage. Alles, möchte ich sagen –zumindest läge es mir fern, dafür Grenzen aufstellen zu wollen, die nur explizit für die Lyrik gelten sollten. Mittlerweile ließe sich durchaus auch für die Poesie mit doppelt abgewandeltem Rauschenberg sagen This is poetry if I say so – mit variierendem Resultat, mitunter luzid. Man denke an Lew Rubinsteins Texte, die auf gegebenem Sprachmaterial basieren, man könnte auch sagen: auf der Wirklichkeit. Rubinstein spricht vom individuellen und kulturellen Bewusstsein, zu dem seine Texte referieren und dem daraus hervorgehenden „Gefühl, zwischen Mutter- und Fremdsprache hin- und her zu flattern, zwischen der An- und Abwesenheit des Autors im Text“.
Darin kann ich meine Sprach- und Schreibpraxis durchaus wiedererkennen. Häufig sind Inspiration für meine Texte Kunst, Musik und Philosophie oder Zitate und Textfragmente. Die meisten Texte entstehen auf Englisch, Deutsch und Französisch– nicht weil ich mir das so vornehme oder jene Sprachen besser beherrschen würde als andere, sondern möglicherweise, da jene Sprachen nicht unbedingt an klare geographische und persönliche Sphären gebunden sind, und zwei von ihnen für mich als Nicht-Muttersprachlerin frei von Assoziationen sind, die für Muttersprachler gegeben sind und mir daher universeller erscheinen. Sie sind für die eher abstrakten Texte besser geeignet als Sprachen, die mit einer spezifischen Lebenssphäre verbunden sind, wie z.B. das Italienische oder Schwedische.
Man sagt, mit jeder Sprache folge eine andere Persönlichkeit. Dem Künstlerduo Slavs and Tatars zufolge führt jenes, „in verschiedenen Sprachen zu sprechen, zu atmen, zu lesen und zu träumen“ gar zu einer Art „höchst produktiven Schizophrenie“. Das Gefühl multipler Persönlichkeiten beim Verwenden verschiedener Sprachen kann ich durchaus bestätigen – ob dies produktiv ist sei dahingestellt. Während es für dokumentarische Projekte notwendig, geradezu unerlässlich war, neue Sprachen zu lernen, um mit Menschen zu leben, deren Lebensumstände und Situation ich zu verstehen hoffte, ist meine „polylinguale“ Poesie hauptsächlich auf die drei genannten Sprachen begrenzt. Obgleich sich die Texte auch nolens volens und manchmal auch intendiert des kulturellen Referenzrahmens bedienen, erlauben diese Sprachen mir auch, auf einem abstrakteren Niveau zu operieren, das eine Konzentration auf die klanglichen Aspekte ermöglicht. Während es im ersten Buch Gedanken waren, welchen ich eine visuelle Form zu geben oder auf ihre Essenz zu reduzieren suchte, sind die weiteren Arbeiten zunehmend von den musikalischen Qualitäten von Sprache inspiriert, und Text nicht bloßer Sinntransmitter, sondern auch sonore Entität. Oft funktionieren die Texte nur in eben jenen Sprachen und lassen sich nicht übersetzen, bzw. sie zu übersetzen wäre sicherlich möglich, aber nicht unbedingt sinnvoll.
Dies translinguale Schreiben ist nicht politisch intendiert, obgleich es durchaus so verstanden werden könnte, als Aufbegehren gegen die Verknüpfung von Sprache und Nation und den Korpus von Erwartungen, die das Verwenden einer Sprache mit sich bringen. Als gelte es, das Missverhältnis zwischen der Idee von einer homogenen, monoliguistischen Nation und der heterogenen, mehrsprachigen Realität auszubalancieren und sich nicht auf deren Begrenzungen einzulassen. Sprachgrenzen sind durchlässig und das Verwenden verschiedener Sprachen in der Lyrik durchaus kein neues Phänomen. Neu ist möglicherweise, dass viele poetische Texte, die heute im Grenzgebiet zwischen Poesie und Kunst entstehen, nicht selten in verschiedenen Zuständen gleichzeitig existieren – gedruckt, digital, als Ton, Kunst, Film oder Performance. Als solche stellen sie gleichsam das Konzept von Sprache und Literatur auf interessante Weise in Frage. Wie Jesper Olsson sagt, lösen jene nicht nur die Nationalsprachen auf, sondern schicken sogar das „Wort als solches, als Ankerpunkt der literarischen Praxis“ ins Exil.
Als Vertreter nationaler kultureller Interessen sind diese mehr- oder quersprachigen Texte eher ungeeignet. Viele jener Werke bedienen sich des Englischen, der neuen lingua franca, stellen also die Nationsgebundenheit der Sprache in Frage, sind jedoch gleichzeitig am Prozess einer neuen Monolingualisierung beteiligt. All dies, während ein Großteil der Strukturen, die Kunst und Poesie umgeben, noch immer nach Nation und Sprache sortieren, einer Errungenschaft der Nationalstaatenbildung, die auf Kosten von schwächeren Sprachen vollzogen wurde und womöglich nie wirklich zeitgemäß war.
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