Marie-Andrée Gill: Das Draußen heizen (Auszüge)

aus: Marie-Andrée Gill: Chauffer le dehors, La Peuplade, Saguenay/Québec 2019 <


für das ZEBRA Poetry Film Festival übertragen
aus dem kanadischen Französischen von Christian Filips und Aurélie Maurin

 

Ich atme Wörter
wie einen Luftkuss
vom Handteller behütet
mit schwachem Hoffen in der Kehlkopfhöhle schwappt Milch am Boden, trink sie aus,
bevor sie kippt

 

Liebe, unberührter Wald und Kahlschlag
in einem Satz

  

Zuweilen schließe ich die Augen und täusche vor,
hier zu sein:
Du drehst den Zündschlüssel, drückst aufs Gaspedal, und schon hebst du ab,
in eine schwarze Wolke gehüllt. Es hat viel geschneit, jetzt bloß keine Panne, ich hab nicht
mal einen Kofferraum. Meine ganze Umgebung lässt sich zusammenfassen in dem
Satz Am rechten Fleck.  Nachts kurvst du um die Bäume, drehst richtig auf; Zweige
auf der Stirn, Flocken vor Augen: Ich bin sicher, mit dir kann ich nicht stecken blei-
ben.

Ich denke mir, was für ein schöner Titel das wäre: Der mit dem Schneemobil tanzt.

 

Was das Küssen betrifft, es ist wie in den Filmen: Erst hebt man langsam ab, dann
steigt man immer höher und schließlich bleibt man knapp unter der Decke der Arena
stecken, wo man all die Fahnen der Vorjahressieger drapiert hat.

   

Ich hätte uns gern noch ein bißchen mehr Zeit fürs Wildern gegönnt, du hättest mir
das Fell wieder zugenäht mit deinen Fäustlingen und das Herz gerade gerückt, wie
einen schiefen Wandrahmen; dann hätte ich dir gezeigt, wie man das Gerippe
des Wortes Angst ordentlich verlacht.

Hoffentlich bleibt da stets ein Riss in der Tür
Ein kleines Dämmern zwischen
den Zeilen unsrer Geschichte

  

Aber ja, ich gebe zu
ich würde mein Herz gern eintauschen gegen die Einfachheit einer guten Schüssel
Makkaroni mit Wurstbeilage

Wieder eine meiner Liebesgeschichten, eine wie alle anderen, ein Bus auf
„Sonderfahrt“
mit niemand drin

  

Wenn Ihr Euch fragt, wo ich bin, ich bin diejenige, die gerade versucht, mit der Eis-
maschine irgendwas Feucht-Schönes zu schreiben.

 

Ich durchforste den Wald
und die Hündinnen
nach einem Heilmittel gegen deine sanften Bisse, die mich dazu brachten, etwas an-
deres zu wollen als Rollen, die man spielt, im Schlamm

 

Das wird heiß gegessen, jedesmal, wenn ich einkaufe oder in die Apotheke gehe.
Jedesmal liegt da ein Souvenir auf der Straße rum, oder ein verkitschtes Liebeslied,
das mir dudelt, mich umhaut.

Alles scheint immer in dieser mir verhassten Phrase zu münden: Iss deine rechte
Hand und spar dir die andere für morgen auf.

 

Es war in einem Bett aus Tannenzweigen, dass wir an die Schönheit, taubstumm,
des Flüchtigen rührten. Speiübel zogen wir aus, um die essbare Wurzel der Sprache
zu finden und unserer Wunden Glanz zu umschmeicheln. Gemeinsam werden wir
unsere Geister ausfegen, mit der Kehrmaschine.

Jedenfalls wussten wir zwischen jedem Donnerschlag, was genau zu tun war mit un-
seren Organen.

  

Wenn Ihr mich fragt, wo ich jetzt bin, hier bin ich, genau hier, ich, die mit dem aufge-
setzten Lächeln einer Eistänzerin, die sich wieder aufrichtet, kurz nachdem sie ihren
dreifachen Axel beendet hat mit einer Kür auf den Arsch.

  

Mein einziges Heim ist ein Faustschlag ins Herzfleisch

  

Ich rupfe die Gänse fürs Abendessen, so wie ich es gern
mit dir tun würde, nur anders herum: Flügel will ich dir aufpfropfen, die flattern, eine
Gurgel dir geben, die schreien kann, auf dass du endlich die Wildblumen siehst, die
aus meinem rauen Herzen sprießen, diese jahrtausendealte Hausapotheke, die uns
umgibt.

  

Auch ich kann den Ursprüngen nacheifern und belauschen die unterkomplexe Poe-
sie der Zitterpappeln.

  

Unter der schneeig-heißen Sonne ersetze ich dich
durch Pfade, die ich eröffne und schließe, kraft meiner weiblichen Hitze, auf
schillernden Wegen hinter dem Kreuz-Vorzeichen, das die Flocken zur Welt bringt,
im Fall.

   

Mein schönes Kleid ziehe ich an, um den Rehen ein paar Popsongs vorzusingen und
die Rinden meiner künftigen Träume zu pflücken, die auf dem Weg noch suchen,
nach ihrem Platz, ihrer Spur.

  

Und wenn die Zukunft auch mit den Achseln zuckt und ihre Fäden nur sehr langsam
entwirrt, ich weiß, dass

das Verschwinden nicht in jenen Himmel führt, den man entzippt, auf eine Größe ge-
bracht hat, die man bewohnen kann.

 

Ich lasse mich von der Landschaft zerstreuen, den Zugvögeln gleich, die sich nie-
mals verirren.

 

Im Augenblick des Ertrinkens zwingt uns die Klarheit zum Weiterleben, indem sie uns
einhüllt. Immer kehren die Wunder zurück beim Wieder-Erlernen der Wörter.

 

Ich klopfe auf Holz, ich halte den Mund, und doch sag ich es weiter
hinein in die schweigende Weite:

Wenn Ihr mich sucht, ich bin bei uns,
in irgendeinem Teil von Nitassinan,
all meine Türen und Fenster stehen offen

ich heize das Draußen.

 

In der heiligen Morgenröte erklingt die Musik unsrer geretteten Tiere
und der Schmerz, der leuchtet

über allem, was die Langsamkeit gestattet, auf meinem schlechten Atem

den ich der Zeit überlasse, ihre Gitarre zu stimmen, bis alles stimmt