Dichterabend #6

Don Mee Choi

Don Mee Choi © Jay Weaver

In Don Mee Chois (geb. 1962 in Seoul, Südkorea) künstlerischer Arbeit ist Mehrsprachigkeit eine politische Geste des Widerstands: ein Anders-Sprechen und Anders-Erinnern gegen etablierte Erinnerungsformate. Ihre Erfahrungen als koreanisch-amerikanische Übersetzerin und Dichterin stellen sie in ein Konfliktfeld neoliberaler Interessen, in dem ihre Texte nicht unschuldig agieren können: Übersetzen ist für sie Bewusstmachen dieser Konflikte mittels Spracharchäologie.

In „Hardly War“ untersucht sie die traumatischen Echos und Verästelungen der Korea- und Vietnamkriege und der amerikanischen Kolonialpolitik, befragt deren Auswirkungen auf ihre Kindheit und Gegenwart. Dabei arbeitet sie sowohl transmedial als auch transhistorisch: sie samplet heterogene geopolitische und historische Bruchstücke, bezieht Postkarten, Zeichnungen, Musiknoten und Fotos in ihre Texte ein. Es sind Artefakte ihres Vaters, der als Kriegsfotograf arbeitete. So reflektiert „Hardly War“ nicht nur die Rolle der Kamera und des Beobachtens von Leid und Krieg – wie auch bereits ihr Erstling „The Morning News is Exciting“ – in einer außergewöhnlichen Formenvielfalt von Opernlibretto, Liste und Lied, sondern nimmt ebenso Vaterbeziehungen, Militarismus, Nationalismus, Herkunft und Patriarchat in den Blick. 2019 ist Don Mee Choi Stipendiatin im Berliner Künstlerprogramm des DAAD.

 

Veröffentlichungen (Auswahl):

Hardly War, Wave Books 2016

Freely Frayed, ㅋ=q, & Race=Nation, Wave Books Pamphlet Series 2014

Petite Manifesto, Vagabond Press Chapbook Series 2014

The Morning News is Exciting, Action Books 2010

 

Übersetzungen (Auswahl):

Kim Hyesoon: Autobiography of Death, New Directions 2018

Kim Hyesoon: Poor Love Machine, Action Books 2016

Kim Hyesoon: Sorrowtoothpaste Mirrorcream, Action Books 2014

Kim Hyesoon: I’m Ok, I’m Pig, Bloodaxe Books 2014

LaTasha N. Nevada Diggs

LaTasha N. Nevada Diggs © Willy Somma

LaTasha N. Nevada Diggs (geb. 1970 in New York) zählt zu den aufregendsten Stimmen in der experimentellen Dichtung der USA. Sie ist eine mythenschöpfende DJane, Sound-Artistin und interdisziplinäre Dichterin aus Harlem. Ihre Texte bewegen sich im Spannungsfeld postkolonialer Kreolisierung und bringen eigene Vernetzungs- und Versetzungssysteme hervor, die sich nicht an biographischen Fakten, sondern an der Lust zur Kommunikation orientieren. Diggs Gedichte sind urbane, babylonische Gesänge, Amalgam aus Dutzenden Sprachen (darunter Englisch, Quechua, Cherokee, Maori, Hindi, Spanisch, Japanisch und Swahili).

Diese Sprachmischung lauscht sie ihrer Umgebung in New York ab, sie hört zu, übersetzt und lässt übersetzen, vervielfältigt die Sprachen, schaltet sie parallel und rebooted sie in einem polyglotten Anime-Cyberfolk. Dabei arbeitet sie ebenso mit Versatzstücken aus der Popkultur wie auch mit Material aus klassischen oder vergessenen Mythen und zu Unrecht entlegenen Formen wie den „kantan chamorritas“, einer poetischen Debattenform von den Marianen. Ihr lange erwarteter Band TwERK (ein Verweis auf die hohe Kunst des Booty Shakin’ im Hip-Hop) enthält ironische Black Nature Poems und Gedichte, die Titel tragen wie: „marmota monax mizrahi feeds chi chi mugler at the latex ball“.


Veröffentlichungen:

TwERK, Belladonna 2013

Manuel is destroying my bathroom, Belladonna 2004

Ni-Ban, MOH Press 2003

Ichi-Ban, MOH Press 1998

 

Diskografie:

Televisión, 2003

Johannes Göransson

Johannes Göransson © privat

Für den schwedisch-amerikanischen Dichter, Übersetzer und Verleger Johannes Göransson (geb. 1973 in Lund, Schweden) sind Gedichte Übersetzungswunden. Als verstörend und schmutzig werden seine Prosa-Vers-Hybride an der Schnittstelle von fiction und poetry beschrieben, die Impulse der L=A=N=G=U=A=G=E poets mit surrealistischen, Gore- und Beat-Elementen vermischen. In  den Formen des Tagebuchs oder der Flaneursnotate bringen sie mit gurlesquer Kraft Trauma, Schuld, Angst, Einsamkeit und Sucht in einen wütenden Stolz des Fucked-Up. Sie sind Rasiermessersymphonie, Pornofilm, Science Fiction und Glitzergroteske zugleich.

Als provokativer Übersetzungstheoretiker ist Göransson insbesondere mit dem Essay „Translation Wounds“ bekannt geworden, in dem er Lyrikübersetzung als eine Verletzung des einsprachig gedachten Gedichts begreift. Übersetzung ist für ihn eine Wunde im Textkörper, durch deren Öffnung Medien wie Sprachen, Geschichte, Erinnerung diesen Raum der Quarantäne infizieren können. Die „transgressive Zirkulation“ der Übersetzung kann holistische Vorstellungen von Sprache und Literatur somit destabilisieren.

Göransson lehrt an der University of Notre Dame und betreibt gemeinsam mit Joyelle McSweeney den Verlag Action Books, der seinen Fokus auf transnationale, interlinguale und feministische Poesie legt.

 

Veröffentlichungen (Auswahl):

Transgressive Circulation. Essays About Translation, Noemi Press 2018

The Sugar Book, Tarpaulin Sky Press 2015

Haute Surveillance, Tarpaulin Sky Press 2013

Dear Ra (A Story in Flinches), Starcherone Books 2008

 

Übersetzungen (Auswahl):

Aase Berg: Dark Matter, Black Ocean Books 2013

Henry Parland: Ideals Clearance, Ugly Duckling Presse 2006

Sawako Nakayasu

Sawako Nakayasu © Mitsuo Okamoto

Sawako Nakayasus (geb. 1975 in Kanagawa, Japan) Band „Mouth: Eats Color“ gehört in jedes Übersetzungsseminar: eine multilinguale Flüsterpost aus Originalen, Übersetzungen und Anti-Übersetzungen. In ihm schreibt sie zehn Gedichte Sagawa Chikas mit verschiedenen Übersetzungspraktiken immer weiter, permutiert sie und lässt sie kurzfristig kristallisieren, bis die Texte zwischen Japanisch, Englisch, Spanisch und Französisch in Schwingung gebracht werden. Deutlich wird: Das Gedicht ist bei Nakayasu das, was zwischen den Sprachen stattfindet, ein Gang, ein Miteinander, das Gemeinschaft erzeugt, „Promenade“.

Nakayasu lehrt an der Brown University und gibt die Zeitschrift „Transpacific Poetics“ mit heraus. Sie sucht beim produktiven Übersetzen immer wieder neu die Balance zwischen Treue und Schönheit und experimentiert deshalb mit unterschiedlichen Strategien bis hin zu „roguish translations“. Für ihren Band „Texture Notes“ übersetzte sie choreographische Notationen aus einem handschriftlichen Notizbuch Tatsumi Hijikatas, Begründer der Tanzperformance Butoh. Neben den Medien Sprache und Übersetzung arbeitet Nakayasu auch mit Performance und Film.

 

Veröffentlichungen (Auswahl):

The Ants, Les Figues Press 2014

Mouth: Eats Color. Sagawa Chika Translations, Anti-Translations, & Originals, Rogue Factorial Press 2011

Texture Notes, Letter Machine Editions 2010

So we have been given time or, Verse Press 2004

 

Übersetzungen (Auswahl):

Tatsumi Hijikata: Costume en Face. A Primer of Darkness for Young Boys and Girls, Ugly Duckling Presse 2015

Takashi Hiraide: For the Fighting Spirit of the Walnut, New Directions 2008

Urayoán Noel

Urayoán Noel © Luis Carle

Der in der South-Bronx lebende Dichter und Künstler Urayoán Noel (geb. 1976 in Sancture, Puerto Rico) führt als „statelesspoet“ die nuyoricanische – ein Kofferwort aus New York und puertorikanisch – Tradition in eine installativ-performative Praxis des Smartphonezeitalters. Sein ästhetisches Denken bewegt sich zwischen den Koordinaten print, body und web, im Hintergrund hämmern Slamrhythmen, der Latin Funk House Kenny Dopes und Rapflows Fat Jons, Big Puns und Oddateees. So treibt Noel in Silbentreppensonetten, Dezimen, per App konfigurierten Anagrammen, mit Sprachsteuerungen angefertigten Selbst- und Fremdübersetzungen und auf seinem poetischen Vlog wokitokiteki.com Ansätze einer poetischen Durchmischung von Englisch und Spanisch aus dem Umkreis des Nuyorican Poets Café weiter, die er als Associcate Professor der New York University auch theoretisch untersucht.

Noel begreift Gedichte als „unstatements“. Was er sucht, sind identitätskritische Textereignisse, die Unzugehörigkeiten propagieren: sei es zu Nationen, Territorien, Textsorten, Genrekategorien, Gendernormen, Sprachen oder anderen „Syndromen“. Auch seine Erfahrungen in der queeren Community New Yorks fließen ein. Diese Textereignisse finden nur kurzfristig statt in einem als deterritorialisiert verstandenen Körper, der u.a. auch in künstlerische Zusammenarbeiten mit Choreographie, Tanz, Musik und Komposition einbezogen wird.

 

Veröffentlichungen (Auswahl)

Buzzing Hemisphere / Rumor Hemisférico, University of Arizona Press 2015

In Visible Movement. Nuyorican Poetry from the Sixties to Slam, University of Iowa Press 2014

Hi-Density Politics, BlazeVOX 2010

Kool Logic/La lógica kool, Bilingual Press 2005

 

Übersetzungen:

Pablo de Rokha: Architecture of Dispersed Life. Selected Poetry, Shearsman Books 2018

Wingston González: No Budu Please, Ugly Duckling Presse 2018