Veranstaltung: Juli 2024
Do
18.7.24
19.30 Uhr
WRITING CLASS
You can´t poet this
Lesung & Gespräch
Writing Class setzt sich auseinander mit Klassismus, der im deutschsprachigen Literaturdiskurs des letzten Jahrzehnts vor allem mit Bezug auf verschiedene Formen des biografischen Essays besprochen wurde. Erstmals bringen wir an diesem Abend einige Positionen der in der internationalen Poesie ebenfalls seit Jahren stattfindenden Auseinandersetzung mit Klassismus auf die große Bühne. Eingeladen wurden vier Dichter:innen, die auf sehr unterschiedliche Weise dichterisch mit dem Thema umgehen:
Veronika Dianišková (geboren 1986) ist eine slowakische Dichterin, von der vier Gedichtbände vorliegen, zuletzt erschien 2023 „Zmena skupenstva“ (zu Deutsch etwa: Änderung des Aggregats). Dianišková arbeitete lange im sozialen Bereich, insbesondere in Einrichtungen für wohnungslose Menschen. Ihr dritter Gedichtband „Správy z nedomovov“ (zu Deutsch etwa: Nachrichten von außerhalb) entstand 2017 unmittelbar aus der Erfahrung und den Umgang mit den Menschen vor Ort. Sie schreibt: „Diese Gedichte handeln von Leuten, die nirgendwohin gehen können oder direkt auf der Straße leben, und im Allgemeinen nicht wissen, was bedeutet das – Zuhause.“ Ihre Gedichtsammlung wurde wegen ihrer gattungsübergreifenden Kühnheit gerühmt und in die Nähe einer Sozialreportage gerückt, da sie einen teilweise dokumentarischen Charakter annimmt (viele der Gedichte sind „Selbstporträts“ in der ersten Person Singular).
Von der britischen Dichterin Fran Lock (geboren 1982) sind bisher 13 Gedichtbände erschienen, zuletzt „Hyena!“ (Poetry Bus Press 2023) und „a disgusting lie‘: further adventures through the neoliberal hell-mouth” (Pamenar Press 2023). In ihren Texten und Essays beschäftigt Lock sich immer wieder mit dem Thema Klasse, 2021 gab sie die Anthologie „The Cry of the Poor – An anthology of radical writing about poverty“ heraus. Sie wendet sich insbesondere gegen die Vereinnahmung des Begriffs der „Arbeiter:innenklasse“ durch die sogenannten Eliten, das, was sie „zynischem Copy-Paste-Armutsporno“ nennt. In ihrem Gedicht „On Ventriloquism” rechnet sie subversiv-witzig mit dieser Art gönnerhafter Aneignung ab: „And you say / you know me, you’ve poeted me, sifted / my bitter statistics like loose-leaf tea.“ („Und du sagst, du kennst mich, hast mich poetisiert, meine bitteren Statistiken durchgesiebt wie loseblättrigen Tee.“) Locks Texte folgen einer widerständigen Poetik, von der sie sagt, sie sei den heidnischen Wurzeln und den düsteren, wilden Landschaften ihrer Kindheit entsprungen.
Die Gedichte Radmila Petrovićs (geboren 1996 in Užice, Serbien) in dem Band „Meine Mama weiß, was in der Städten vor sich geht“ (Voland & Quist 2023, Übersetzung: Philine Bickhardt und Denijen Pauljević) führen ihre Leser:innen in eine ländliche, brutale Welt vertrunkener Höfe, eine Welt der Nachbarschaftsfehden und ausgespresster Schweinegrieben. „So ist dieses dorf“, schreibt sie in dem Text „Maulwurfshügel“, „du spürst seine augen auf der haut hier handelt man mit fledermausflügeln und verunglückt vor dem supermarkt“. Es ist eine von Männern regierte Welt, in der die Geburt einer Tochter als Niederlage empfunden wird. Eine Frau zu sein, sei schlimmer als ein Hund, heißt es einmal, ein anderes Mal: „mädchen, die so geboren sind / kennen die götter nicht.“ Petrović beschreibt sich als heranwachsendes Mädchen, als Einzelgängerin aus Notwendigkeit, die den Fluch des Waldes in sich trägt und „pistolen, bagger und den hammer“ liebt. Sie gehöre dem feld an, schreibt sie, „dort, wo unsere nachbarn schon seit jeher / ein verdorbenes ei vergraben haben auf unserer seite der feldgrenze“.
Zheng Xiaoqiong (geboren 1980 in der südwestchinesischen Provinz Sichuan) wurde über Nacht berühmt, als sie 2007 mit dem Liqun-Literaturpreis ausgezeichnet wurde. Bis dahin war sie im literarischen Leben Chinas eine Unbekannte. Ihre ersten Gedichte schrieb sie, als sie 2001 als Wanderarbeiterin in die bezirksfreie Stadt Dongguan (in der Provinz Guangdong) kam und dort sechs Jahre in einer Metallwarenfabrik arbeitete. Die Erfahrungen aus dieser Zeit wurden in dem Zyklus „Das Buch der Arbeiterinnen“ zum Stoff ihrer Literatur. Zheng Xiaoqiong erzählt vom unmenschlichen Alltag in den Fabriken, von der Arbeit in den Versendehäfen, an den Drahtschneidemaschinen und an den Fließbändern unter dem „statischen rauschen der deckenleuchten“. Es ist eine engagierte Literatur, die den Verlierer:innen des globalisierten Kapitalismus eine Stimme gibt. Ihre Heldinnen sind neben den Fabrikarbeiterinnen unter anderem Kantinenfrauen und Prostituierte, und die Sprache, die sie für den Alltag dieser Menschen findet, hat einen in der chinesischen Gegenwartslyrik ganz neuen Ton eingeführt: „im körper einquartiert / ist eine hochleistungsmaschine, die ein loch in die zeit bohrt / für das sie ihre kräfte, ihre jugend verbraucht, oh ja, die produziert / ihr ein falsches fettes leben.“
Moderation: Christian Filips
Die Veranstaltung wird englisch-deutsch gedolmetscht. Mit freundlicher Unterstützung von ECHOO Konferenzdolmetschen
Projektleitung: Jutta Büchter
Mit Dianišková, Veronika, Lock, Fran, Petrović, Radmila, Xiaoqiong, Zheng
Gefördert durch:
Slovak Literary Centre, Traduki. Das poesiefestival berlin ist ein Projekt des Haus für Poesie in Kooperation mit dem silent green Kulturquartier und der Akademie der Künste und wird gefördert durch den Hauptstadtkulturfonds.
silent green Kulturquartier
Kuppelhalle
Gerichtstr. 35, 13347 Berlin
Eintritt:
9/7 €
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