12.6.2020

Das 21. poesiefestival berlin ging im Netz viral

Die Online-Edition des 21. poesiefestival berlin (5.–11. Juni) ist gestern Abend erfolgreich zu Ende gegangen. Unter dem Motto Planet P brachten 150 DichterInnen aus 29 Ländern die zeitgenössische Lyrik-Szene weltweit auf die Bildschirme. Bis zur Stunde wurden die Festivalproduktionen knapp 100.000 Mal über alle Kanäle aufgerufen.

Die eigens für das Festival erstellte Website poesiefestival.org bildete den Mittelpunkt des Festivals. Neben den Videoproduktionen konnten die BesucherInnen durch den virtuellen Lyrikmarkt stöbern, auf dem sich 30 Verlage und Zeitschriften mit ihren Lyrikerscheinungen vorstellten, Interviews und Anthologien lesen und in eine Virtual World eintauchen. Auch nach Ablauf des Festivals bleiben die Website und die Produktionen in der Mediathek abrufbar.

Bei Weltklang – Nacht der Poesie lasen Mircea Cărtărescu (ROU), Michael Donhauser (AUT), Athena Farrokhzad (IRN/SWE), Yanko González (CHL), Luljeta Lleshanaku (ALB), Koleka Putuma (ZAF), Ariana Reines (USA), Katharina Schultens (DEU) und Yi Won (KOR) in sieben Sprachen – die Aufnahmen zeigten die DichterInnen in ihren Umgebungen und Wohnungen und verliehen der Eröffnungsveranstaltung damit neue Intimität.

Passend zum diesjährigen Kanada-Schwerpunkt des Festivals hielt die weltbekannte kanadische Dichterin Anne Carson die Berliner Rede zur Poesie. In der Rede mit dem Titel Thirteen Ways of Looking at a Short Talk / Dreizehn Blickwinkel auf Einige Worte unternahm sie – vom heimischen Küchentisch aus – poetologische und philosophische Streifzüge, die sie in die Antike und ihre eigene Kindheit führten. Die Rede ist parallel im Wallstein-Verlag erschienen.

Der trilinguale Übersetzungsworkshop VERSschmuggel. Canadian Poetry / Poésie du Québec / Dichtung aus Deutschland versammelte sechs deutschsprachige, sechs französisch- und sechs englischsprachige kanadische AutorInnen, die sich in Zoom-Sessions mit der Unterstützung von SprachmittlerInnen gegenseitig übersetzten und Einblick in ihre gemeinsame Arbeit gewährten.

Die Projekte Widerworte. Poesie als politischer Aktivismus und Poetry & Activism erforschten das politische und soziale Potential von Lyrik. Die Unerhörte Poesie brachte junge Stimmen der schwarzen Diaspora Europas zusammen. Die vielfältige Berliner Lyrik-Szene präsentierte sich in diesem Jahr bei Poets‘ Home (Corners) nicht wie sonst in den Berliner Bezirken, sondern in ihren Wohnzimmern.

Die Poetische Bildung bot viele Möglichkeiten zur Partizipation und Weiterbildung für alle Altersstufen: Tutorials zu Klangpoesie und Poesie in Bewegung, eine Fortbildung für LyrikvermittlerInnen, eine Meisterklasse zu queerem Dichten und einen Workshop für Grundschulkinder. Die Nachwuchswerkstätten der Open Poems und Young Poems präsentierten sich in einer Abschlusslesung und einer Anthologie.

Digitalität spielte nicht nur gestalterisch, sondern auch inhaltlich eine große Rolle: Die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann und die Medienwissenschaftlerin Mercedes Bunz diskutierten im Forum und einem anschließenden Live-Video-Chat, wie das kulturelle Gedächtnis vom digitalen Wandel und der damit einhergehenden veränderten Infrastruktur des Erinnerns beeinflusst wird. Aleida Assmann: „Tatsächlich ist die Poesie auch das, was sich sehr stark in Richtung Zukunft und Dauer entwickelt. Wenn wir an Horaz denken, der ein Monument schafft, das dauerhafter sein soll als Erz: kein pharaonisches Denkmal, keine Pyramide oder all diese Dinge, sondern ein Gedicht, ein luftiges Gedicht. Eine Idee, die Shakespeare auch immer wieder aufgenommen hat: Dass sein Gedicht, solange es Menschen gibt, die es lesen, weiter geht in die Zukunft.“

In diesem Sinne: Bis zum nächsten Jahr – dann hoffentlich wieder in der Akademie der Künste!

Das 21. poesiefestival berlin ging im Netz viral