24.6.2022

10.000 BesucherInnen beim 23. poesiefestival berlin

Das 23. poesiefestival berlin – vom 17. bis zum 23.6. in der Akademie der Künste am Hanseatenweg – hatte dieses Jahr 10.000 BesucherInnen, darunter internationale LyrikerInnen, FestivalleiterInnen und Poesiebegeisterte jeden Alters. Nach zwei Jahren fand das Festival endlich wieder live statt. Rund um das Festivalmotto All that poetry organisierte der Veranstalter, das Haus für Poesie, zusammen mit mehr als 70 Partnern über 40 hochkarätige Veranstaltungen. Und wieder ist es ein politisches Festival geworden. „Wir hatten eigentlich nach zwei Jahren Pandemie und viel Streit in Europa einen ästhetischen Fächer aufmachen wollen“, sagt der Festivalleiter Thomas Wohlfahrt. „Dann überfiel Russland die Ukraine und der Referenzrahmen wurde ein komplett anderer.“

Die ukrainische Dichterin Halyna Kruk hielt eine eindrucksvolle Eröffnungsrede. „Gegen Leute mit Maschinengewehren helfen keine Metaphern, wenn dein Auto, mit dem du und deine Kinder dem Krieg zu entfliehen versucht, von einem Panzer überrollt wird, hilft keine Dichtung. Wenn du tagelang vor dem verschütteten Keller eines Hochhauses ausharrst und hörst, wie drinnen deine Kinder und Enkel schreien, du sie aber nicht rausholen kannst, ist Poesie fehl am Platze.“ Beim darauffolgenden Weltklang – Nacht der Poesie lasen neben ihr Raymond Antrobus (GBR), Augustìn Fernández Mallo (ESP), Dorothea Grünzweig (DEU), Mihret Kebede (ETH), Kim Yideum (KOR), Wulf Kirsten (DEU), Aleš Šteger (SVN) und Julia Wong Kcomt (PER).

Der aus dem Kongo stammende Autor Fiston Mwanza Mujila (Tram 83) kuratierte mit Die Traumfabrik einen grandiosen Afrika-Abend, der größtenteils diasporaerfahrene DichterInnen, MusikerInnen und WissenschaftlerInnen eine Poetische Kartographie von Afrikas neuer Urbanität abseits der typischen Stereotype entwerfen ließ.

Es war eine poetische Liebeserklärung an Berlin und seine Vielsprachigkeit: Mit Schriftrolle in ihren Händen lieferte Michèle Métail eine beeindruckende Performance bei der diesjährigen Berliner Rede zur Poesie, die sie auf Deutsch unter dem Titel Die Zwischensprache hielt. „Wörter wandern, sie verwandeln sich. Sie überschreiten alle Grenzen. Sprache ist Bewegung.“ Als Buch erschienen ist die Rede im Wallstein Verlag.

Ein bedrückendes Bild zur Lage in Belarus zeichnete Anthologie der Dichterinnen mit sechs belarussischen Autorinnen, die nur noch zum Teil in ihrem Heimatland leben, und ihrer mutigen Verlegerin Alena Kazlova. „Jetzt, wo Russland Krieg in der Ukraine führt, ist Belarus nicht mehr auf der Tagesordnung“, sagte die queere Dichterin Nasta Mancewicz in einem Interview. „Mir kommt es vor, als befänden wir uns in einer unsichtbaren Zone.“

Vorgestellt wurde auch Persische Lyrik im europäischen Exil, basierend auf der von Ali Abdollahi und Daniela Danz herausgegebenen Anthologie Kontinentaldrift. Das persische Europa (Wunderhorn 2021). Die Reihe Kontinentaldrift begann 2021 mit Das schwarze Europa. Jetzt wird bereits am neuen Band Das arabische Europa gearbeitet.

Das Festival fand seinen Abschluss bei der Bühnenpremiere von Aras Örens erschreckend aktuellen Langpoemen („Berliner Trilogie“). Was will Niyazi in der Naunynstraße? mit der Stimme Örens und historischen Aufnahmen von Ata Canani, Riza Taner, Aşik Divane, Selda, Yüksel Ôzkasap, Zehra Sabah und Cem Karaka ließ das Kreuzberg und Istanbul der 1970er Jahre lebendig werden.

Die Festivalausstellung AI ANCESTORS – Making Kin in the Future erkundete die Schnittstelle zwischen Algorithmen und Poesie. „Für mich gibt es viele Verbindungslinien zwischen Poesie und künstlicher Intelligenz. Beides sind Systeme, die innere Logiken aufbauen“, so die Kuratorin Rike Scheffler in einem Interview.

Das Programm der Poetischen Bildung war so umfangreich wie nie zuvor und reichte von einer Fortbildung für LyrikvermittlerInnen über eine inklusive Ausstellung, eine Buchpremiere und eine Preisverleihung unter Teilnahme der britischen Botschafterin in Berlin, Jill Gallard, bis hin zu Lesungen junger Lyrik sowie Workshops mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen.

Vorangegangen waren dem Festival fünf Tage Poets‘ Corner – Lyrik in den Bezirken, traditionell die Bühne für internationale junge lyrische Stimmen aus Berlin.

poesiefestival.org

Das poesiefestival berlin ist ein Projekt vom Haus für Poesie in Kooperation mit der Akademie der Künste und wird gefördert durch den Hauptstadtkulturfonds.

Das poesiefestival berlin ist seit 2022 Mitglied der europäischen Poesieplattform Versopolis, gefördert durch das Creative Europe Programm der Europäischen Union.

Präsentiert von ASK HELMUT, Deutschlandfunk Kultur, BÜCHERmagazin, EXBERLINER, KUNSTFORUM International, Literaturport, rbbKultur, taz und tip Berlin.

Mit freundlicher Unterstützung durch ECHOO Konferenzdolmetschen und die Literarische Buchhandlung Der Zauberberg.